Als der Wecker des Telefons mich am frühen Morgen unerbittlich aus dem Schlaf holte und mein Hund sich diesem noch mit lautem Gebell anschloss, ahnte ich schon, dass dieser Tag ein langer werden könnte. Ich stand also auf, fütterte den Hund und stellte mich unter die kalte Dusche. Kalt nicht etwa, weil ich diese Angewohnheit für mich als nützlich erachtete – nein – kalt, weil meine Nachbarn Besuch hatten und unser Boiler nicht für so viele Personen ausgerichtet ist.
Nachdem ich den Hund etwas später bei der Hundesitterin abgesetzt hatte und mich auf den Weg zur Arbeit machte, besserte sich meine Laune merklich. Die Sonne schien und ich genoss die Fahrt in meinem offenen Cabriolet mit lauter Musik und einer Dose Cola.
Plötzlich, als ich gerade auf der Überholspur war, kam von hinten ein roter Ferrari angeschossen und zwar so schnell, dass ich den Atem anhielt. Ich hatte keine Chance, auf die Normalspur zu wechseln, da der Morgenverkehr in vollem Gange war und sich ein Lastwagen direkt auf meiner Höhe befand. Aufgrund des vielen Verkehrs war es mir nicht möglich, schneller als 100km/h zu fahren. Bremsen quietschten, was ich besonders deutlich hörte mit meinem offenen Verdeck und es roch nach Gummi.
Doch sonst passierte… nichts. Ich entspannte mich langsam wieder und sah dann im Rückspiegel, dass der Fahrer des Ferraris, ein junger Typ mit Schnauz und Sonnenbrille, den Wagen direkt hinter mir drosseln konnte. Voller Erleichterung atmete ich auf und war froh, als ich den Ferrari einen halben Kilometer weiter vorne dann überholen lassen konnte. Der Fahrer blickte cool zu mir ins Auto und schien sich der Gefahr nicht so richtig bewusst gewesen zu sein. Ich wünschte ihm, nachdem mein Schock vorüber war, dass er weiterhin so viel Glück haben würde. Schon viele Jahre fahre ich nun Auto, zum Teil weite Strecken und bin jedes Mal dankbar, wenn ich sicher ans Ziel komme. Es passiert so schnell, dass sich Fahrer überschätzen und dadurch Unfälle passieren.
Einmal war ich vor der Arbeit beim Einkaufen und ist mir, auf dem Supermarktparkplatz, eine Frau mit ihrem Jeep aus dem Parkplatz direkt in meinen Polo gefahren. Sie war dabei offensichtlich am Handy und habe mich nicht gesehen. Zu meinem Glück fuhr sie in die Beifahrerseite, wo zu diesem Zeitpunkt niemand sass. Seither bin ich noch mehr sensibilisiert darauf, wie schnell im Strassenverkehr etwas passieren kann. Ich höre noch immer dieses splitternde Geräusch des Aufpralls, wenn ich mich daran erinnere.
Gerade starteten Chris Norman und Suzi Quatro mit ihrem «Stumblin`In» in meinem Radio, als die Autokolonne vor mir zum Stillstand kam. Reflexartig löste ich den Warnblinker aus und stand auf die Bremse. Hinter mir kam ein Lastwagen und erneut blieb mir nichts anderes übrig, als die Luft anzuhalten und zu hoffen. Zum Glück schaffte es jedoch auch dieser Fahrer, seinen voll beladenen Wagen hinter mir zum Stillstand zu bringen.
Als ich durch mein offenes Verdeck nach vorne blickte sah ich die Ursache des Stillstands und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ein paar Autos weiter vorne stand ein blauer Kombi umgedreht und in die Leitplanke geschoben da. Hinter ihm ein vertrauter Anblick: der rote Ferrari. Aus der Motorhaube des Ferraris stieg Rauch auf.
Ich zitterte und machte mir dann bewusst, dass ich handeln musste. Rasch zog ich mir eine Leuchtweste an, packte mein kleines Verbandsköfferchen und rannte, der Leitplanke nach, nach vorne. Am Ort des Geschehens angekommen bot sich mir ein schreckliches Bild. Die Beifahrerin des Kombis stand blutüberströmt und offensichtlich unter Schock stehend neben dem Wagen. Der Fahrer schrie laut um Hilfe, da sein Bein eingeklemmt war und er nicht aussteigen konnte. Zum Glück kam dann ein weiterer Ersthelfer dazu, dem ich die Anweisung gab, die 144 zu wählen und Hilfe anzufordern.
Zuerst kümmerte ich mich um die Frau, unterstützte sie dabei, sich hinzusetzen und eine weitere Person, die dazukam, gab ihr etwas Wasser zum Trinken. Nach einem kurzen Body-Check schienen ihre Verletzungen, zumindest die Sichtbaren, eher leicht zu sein. Als Nächstes kümmerte ich mich um ihren Mann. Ausser seinem Bein hatte er sich eine grosse Kopfplatzwunde zugezogen. Das meiste Blut auf seiner Frau schien von ihm zu sein. Ich brachte einen provisorischen Verband an und unterstützte ihn dabei, seine Position so anzupassen, dass er möglichst wenig Spannung auf dem eingeklemmten Bein hatte.
Das alles lief für mich wie in Zeitlupe ab und ich funktionierte wie mechanisch. In meinem Beruf als Pflegefachfrau bin ich mir Notfallsituationen gewohnt, jedoch in diesem Umfeld war es noch einmal ganz etwas anderes. Während der Versorgung des Mannes drangen die Stimmen weiterer Helfer zu mir, welche sich in der Zwischenzeit angesammelt hatten. So erfuhr ich, dass der Ferrarifahrer den Aufprall nicht überlebt hatte. Ein einziger unachtsamer Moment, eine Überschätzung hatte sein junges Leben unwiderruflich ausgelöscht.
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